Von „Straßenschlachten“ und „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ war in der bürgerlichen Presse infolge der „Krawallnacht“ in Stuttgart im Juni 2020 die Rede. Es wurde sich empört über die Ausschreitungen gezeigt, entsetzt schaute die breite Öffentlichkeit auf die Sachschäden und die verletzten Polizisten und die BILD konnte es sich nicht verkneifen, zu betonen, dass Migration wohl eine große Rolle gespielt hätte.
Als Auslöser wurde allgemein eine einzelne Polizeikontrolle ausgemacht, die am 20. Juni 2020 an einem Ort in der Stuttgarter Innenstadt durchgeführt wurde, an dem sich häufig Jugendliche treffen und Alkohol konsumieren. Anwesende antworteten zunächst mit Parolen, Flaschenwürfen und Beschädigungen von Einsatzfahrzeugen. Später verlagerte sich die Auseinandersetzung dann in eine Einkaufsmeile. Insgesamt wurden in dieser Nacht 24 Einsatzfahrzeuge beschädigt, 32 Bullen verletzt und 41 Läden kamen zu Schaden.
Die Stuttgarter Krawallnacht war viel mehr als nur eine Antwort auf eine einzelne Polizeikontrolle. In diesem ersten Sommer der Corona-Pandemie hatten sich die sozialen Widersprüche stark zugespitzt und vor allem auch Jugendliche waren wütend. Die Überpräsenz der Polizei in der Stuttgarter Innenstadt an Wochenenden sowie die Erfahrungen proletarischer und migrantischer Jugendlicher mit Bullen, was von rassistischer Behandlung bis zu gewalttätigen Angriffen reicht, kommen noch dazu. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich beteiligten, ließen ihren Frust und ihre Wut heraus, indem sie zu Flaschen und Steinen griffen und den ein oder anderen Wertgegenstand aus Läden enteigneten.
Der CDU-Politiker und Innenminister Baden-Württembergs Thomas Strobl forderte in Reaktion auf die Geschehnisse ein hartes Vorgehen. Und als etwas anderes als „unverhältnismäßig hart“ lässt sich das erste Urteil, das im Zusammenhang mit der Stuttgarter Krawallnacht gefällt wurde, auch nicht bezeichnen. Ein 18-Jähriger, der das Fenster eines Polizeiautos eingeschlagen hatte, erhielt zweieinhalb Jahre Haft ohne Bewährung. Nicht nur aus linker Ecke wurde dieses Urteil kritisiert. Der Anwalt des Angeklagten ging in Berufung und erhielt auch Recht, woraufhin die Strafe gemildert wurde.
Um die Beteiligten der Krawallnacht ausfindig zu machen, wurde übrigens auch viel Geld in die Hand genommen und sehr viel Aufwand betrieben. Unter anderem leiteten die Ermittlungsbehörden eine Analyse von massenhaft Bild- und Videomaterial aus dem Innenstadtbereich ein und unternahm Funkzellenabfragen. Dabei wurden von Anfang an besonders Linke ins Visier genommen: Bei der Funkzellenabfrage wurde ermittelt, ob die Telefone von bekannten linken Aktivist*innen im betroffenen Bereich eingeloggt waren, zudem wurden gezielt Kameraaufnahmen an S-Bahnhöfen in der Nähe von „linken Treffpunkten“ untersucht. Strobl machte so auch in einem Interview „gewalttätige Linksextremisten“ verantwortlich.
Mithilfe von teils illegal beschafftem Videomaterial und einem fragwürdigen Gutachten kam es außerdem Ende Oktober dieses Jahres zur Verurteilung von zwei linken Aktivisten. Dabei wurde sich bewusst gegen die Anwendung des Jugendstrafrechts entschieden, was mit der „ideologischen Verblendung“ der Angeschuldigten begründet wurde. Unsere Genossen bekamen Haftstrafen mit Längen von drei Jahren und neun Monaten beziehungsweise drei Jahren und zwei Monaten, während die Beweislage äußerst zweifelhaft ist.
Wir müssen leider sagen: Urteile wie diese sind bei weitem nichts Neues. Seit eh und je antwortet der bürgerliche Staat auf Versuche, sich gegen ihn aufzulehnen, mit Repressionen. Das umfasst Kontrollen, Geldstrafen, Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und so weiter, bis hin zu dieser momentan extremsten Form, den Gefängnisstrafen. Die beiden Stuttgarter Genossen sind hier in der BRD kein Einzelfall, denken wir an den G20-Gipfel in Hamburg, denken wir an Jo und Dy, die auch in Stuttgart vor dem Gericht standen, denken wir an Lina E., deren Prozess hier in Dresden seit über zwei Jahren läuft und denken wir auch an unsere kurdischen Genoss*innen, die hier in Deutschland eine fast einzigartige Repression erfahren. Es scheint, als wäre das Vorgehen gegen antikapitalistische und antifaschistische Aktivist*innen und Organisationen über die letzten Jahre immer agg ressiver geworden. Es kommt zu äußerst hohen Strafen, Praktiken, die früher höchstens als Ordnungswidrigkeiten galten, werden kriminalisiert und es scheint mindestens ein 129er-Verfahren am Laufen zu sein.
Wir dürfen uns von all dem nicht einschüchtern lassen! Die herrschende Klasse hat genau das zum Ziel, sie will uns davon abhalten, weiterzukämpfen, sie will uns spalten und dazu bringen, nur mit den Mitteln zu arbeiten, die ihr nicht schaden. Konfrontation mit dem bürgerlichen Staat ist unvermeidbar, wenn man gegen ihn kämpft! Wir schreien Nein in ihre gehässigen Fressen und stehen weiter zusammen blablabla